Vor einiger Zeit war der Gymnastikball am Arbeitsplatz als Alternative zum Bürostuhl der letzte Schrei. Das ist längst vorbei, stellte sich doch schnell heraus, dass das Sitzen auf einem Gymnastikball im Büro über 8 Stunden oder mehr kaum möglich ist. Ist der Gymnastikball damit komplett ungeeignet für das Büro geworden? Wir haben das einmal für Sie untersucht.
Was war die Idee für den Gymnastikball im Büro?
Vermehrte Rückenprobleme bei Menschen mit einem Bürojob rufen immer wieder neue Alternativen für gesundes Sitzen und Arbeiten auf den Plan. Neben der Entwicklung ergonomischer Bürostühle und Schreibtische tauchen hin und wieder neue Ideen auf, um die Gesundheit, das Wohlbefinden und damit auch die Leistungsfähigkeit am Büroarbeitsplatz aufrechtzuerhalten. So war das auch beim Gymnastikball. Dieser sollte aufgrund seiner Form und Instabilität dafür sorgen, dass darauf Sitzende ständig in Bewegung bleiben und immer wieder ihre eigene Haltung kontrollieren und anpassen. Das Fehlen von Rückenlehne und Armlehne sowie die kugelige Form des Balls schienen dafür bestens geeignet
Gesunde Alternative oder nur ein Sportgerät?

Ein Pezziball bzw. Gymnastikball ist in allererster Linie ein Sportgerät – und zwar ein anspruchsvolles. Gedanklich eher in die Ecke der in die Jahre gekommenen Rückenpatienten gedrängt, wird sich jeder, der zum ersten Mal mit einem Pezziball ein paar Übungen ausführt darüber wundern, wie anspruchsvoll das sein kann. Darum ist das Sitzen auf so einem Ball auch extrem anstrengend und erfordert außerdem ein hohes Maß an Konzentration. Das macht es so herausfordernd, neben der Arbeit am Schreibtisch, den Ball für längere Zeit unter Kontrolle zu halten.
Beim Sitzen auf dem Gymnastikball müssen nicht nur die großen Muskeln Arbeit leisten. Durch seine runde Form ist unser Körper permanent damit beschäftigt, das Gleichgewicht auf dem Ball zu halten, was nur mithilfe der tieferliegenden Gleichgewichtsmuskulatur gelingt. Diese befindet sich im ganzen Körper verteilt an jedem noch so kleinen Gelenk – auch an denen zwischen den einzelnen Wirbelkörpern der Wirbelsäule. Ähnlich wie Spanngurte bei einer großen LKW-Ladung sorgen diese Muskeln dafür, dass keines der Gelenke aus dem Lot und damit unser Körper aus dem Gleichgewicht kommt. Das bedeutet richtig Arbeit.
Genauso, wie niemand 8 Stunden im Fitness Studio verbringen möchte, hält es auch keiner wirklich so lange Zeit sitzend auf einem Pezziball aus. Das bedeutet aber nicht, dass ein Gymnastikball keine sinnvolle Ergänzung zu einem ergonomischen Bürostuhl sein kann. Er eignet sich jedoch nicht zum dauerhaften Sitzen. Im Grunde ist kein Möbelstück dafür geeignet. Das liegt allerdings nicht an den Bürostühlen selbst, sondern eher an der Tatsache, dass der Mensch rein biologisch nicht für andauerndes Sitzen gemacht ist.
Zum dynamischen Sitzen für eine gewisse Zeit ist der Gymnastikball nach wie vor eine tolle Angelegenheit. Was mit dem Begriff „dynamisches Sitzen“ gemeint ist, erfahren Sie ausführlich in unserem gleichnamigen Blogbeitrag. Hier sei nur soviel gesagt: Je mehr Bewegung Sie in Ihren Büroalltag bringen, desto besser. Und dafür stellt der Gymnastikball zum Sitzen im Büro eine ausgezeichnete Möglichkeit dar.
Wie wird der Gymnastikball zum Sitzen im Büro richtig eingesetzt?
Sportwissenschaftler sind sich einig, dass dauerhaftes Sitzen auf einem Gymnastikball im Büro zur Überlastung der Gleichgewichtsmuskulatur vor allem an den Wirbelgelenken im Rückgrat führt. Die kleinen, in der Tiefe sitzenden Muskeln sind beim Sitzen auf dem Ball dauerhaft bestrebt, die einzelnen Wirbelkörper in einer optimalen Position zu halten und stehen dadurch unter Dauerstress. Das führt unweigerlich zur Überlastung und eventuell sogar zu Schädigungen, was wiederum eine Schonhaltung zur Folge hat – also genau das Gegenteil, was man mit einem Gymnastikball erreichen möchte.
Für sehr ungeübte und untrainierte Personen kann der Gymnastikball im Büro außerdem mit einer erhöhten Sturzgefahr verbunden sein. Wer nicht über ein ausgeprägtes Körpergefühl verfügt, wird Probleme haben, sich auf dem Ball zu halten bzw. muss sich sehr auf das Sitzen konzentrieren. In einem unbedachten Moment könnte der Ball leicht wegrollen und man selber würde auf dem Boden landen.
Sinnvoll eingesetzt ist der Gymnastikball jedoch perfekt geeignet, um neben allen anderen Muskeln an Rücken, Wirbelsäule und Beinen auch die Gleichgewichtsmuskulatur anzusprechen und zu trainieren. Denn diese verkümmert regelrecht durch dauerhaftes Sitzen und zu wenig Bewegung.
Wir haben ja schon häufiger erwähnt, dass Bewegung essentiell für unsere Gesundheit ist. Dabei geht es gar nicht um ausgesprochene sportliche Fitness, sondern erst einmal darum, mit ausreichend Bewegung dafür zu sorgen, dass Zellen – und wir bestehen nun einmal komplett aus diesen – ausreichend ernährt werden.
Die Empfehlung für das Sitzen auf einem Gymnastikball im Büro lautet daher:
- maximal 30 -45 Minuten
Diese Zeit reicht aus, um Muskeln zu aktivieren, den Stoffwechsel anzukurbeln und Verspannungen zu lockern. Danach darf gern wieder auf dem ergonomischen Bürostuhl gesessen oder der Steharbeitsplatz genutzt werden.
Der ständige Wechsel zwischen Sitzen, Stehen, Bewegungspausen und etwas Stretching plus das Sitzen auf dem Pezziball für eine gewisse Zeit gehören zum perfekten Plan, um gut bewegt durch den Arbeitsalltag im Büro zu kommen.
Der Gymnastikball im Büro kann nicht nur zum Sitzen genutzt werden, sondern auch für die Bewegungspausen zwischendurch.
Was sagt die Wissenschaft über den Gymnastikball zum Sitzen im Büro?
Die Wissenschaft hält Studien und Untersuchungen bereit, die sowohl für einen Gymnastikball im Büro sprechen als auch dagegen.
2012 – wurde im „Journal of Occupational and Environmental Hygiene“ eine Studie veröffentlicht, die nachweisen konnte, dass die Verwendung eines Gymnastikballs als Sitzgelegenheit in einem Büro dazu geeignet ist, Rückenschmerzen positiv zu beeinflussen. Die Cross-Over-Studie beobachtete dafür 193 Probanden über drei Monate und wertete anhand von Fragebögen deren Erlebnisse aus.
Die Auswertung der Studie ergab, dass die Mehrheit der Probanden eine Schmerzlinderung unter der Verwendung des Sitzballs von 21 – 45 % verspürten. (1). Allerdings wurde ebenso festgestellt, dass es auch einige wenige Probanden mit mehr Schmerzen gab, wahrscheinlich ausgelöst durch die ungewohnte Anstrengung beim Sitzen auf dem Gymnastikball. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass es individuell unterschiedlich ist, inwieweit Menschen bei der Büroarbeit vom Sitzen auf dem Pezziball profitieren. Fest steht, dass bei allen eine Zunahme der Bewegung und der Muskelanspannung stattfand.2017 wurde im „Journal of Sport and Health Science“ eine weitere Studie zu dem Thema veröffentlicht. Hier kamen die Forscher zu der Erkenntnis, dass Sitzmöbel, die zu einem dynamischen bzw. aktivem Sitzen im Büro anregen, die Muskelaktivierung der unteren Extremitäten steigern und somit den Kalorienaufwand im Körper erhöhen. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Fettleibigkeit in der Bevölkerung empfehlen die Forscher deshalb, dynamische Sitzgelegenheiten in den Büroalltag zu integrieren (2).
Tipps für den Einsatz des Gymnastikballs im Büro
Im Grunde ist es beim Einsatz eines Gymnastikballs im Büro oder auch im Home-Office entscheidend, dass ein gesundes Maß nicht überschritten wird. Als Dauersitzmöbel ist der Pezziball für die meisten eher nicht geeignet. Für ein kurzzeitiges dynamisches Sitzen allerdings schon.
Möchten Sie in Zukunft einen Gymnastikball zum Sitzen bei der Büroarbeit nutzen, sollten Sie auf einige Dinge achtgeben.
1. Die richtige Größe des Gymnastikballs
Die perfekte Größe hat der Gymnastikball, wenn Ihre Unterschenkel leicht nach vorn unten geneigt sind, während Sie auf dem Ball sitzen. Außerdem muss er zur Schreibtischhöhe passen – bzw. der Schreibtisch sollte höhenverstellbar sein, damit Sie ihre Unterarme auf dem Tisch ablegen können. Des Weiteren befinden sich Ihre Hüftgelenke idealerweise höher als die Knie.
Folgende Größen haben sich bewährt:
Körpergröße | Durchmesser Gymnastikball |
150 – 162 cm | 55 cm |
163 – 180 cm | 65 cm |
181 – 200 cm | 75 cm |
2. Sorgen Sie für Sicherheit
Sitzen Sie das erste Mal im Büro auf einem Gymnastikball, legen Sie diesen vor eine Wand, bevor Sie sich darauf setzen. So kann er Ihnen nicht einfach davon rollen. Eine Gummiunterlage – beispielsweise eine Gymnastik- oder Yogamatte sorgt für zusätzliche Sicherheit. Und es gibt praktische Plastikringe, die man für den Anfang unter den Ball platzieren kann. Diese verhindern, dass der Ball wegrollt und Sie auf dem Boden landen.
3. Steigern Sie langsam die Sitzzeit auf dem Gymnastikball
Beginnen Sie damit den Gymnastikball 10 – 15 Minuten als Schreibtischstuhl zu nutzen. Je nach eigenem Empfinden steigern Sie dann die Zeit allmählich. Wie bereits erwähnt soll der Ball nicht unbedingt viel länger als 30 – 45 Minuten am Stück zum Einsatz kommen. Doch auch das ist nur eine Empfehlung. Letztendlich sind Ihre eigene Fitness und Ihr Wohlbefinden ausschlaggebend dafür, wie lange Sie den Ball als Bürostuhl verwenden möchten.
4. Ausprobieren
Vielleicht haben Sie die Möglichkeit vor der endgültigen Anschaffung in einer Physiotherapie Praxis das Sitzen auf dem Ball auszuprobieren. Das wäre eine gute Möglichkeit um festzustellen, ob sich der Gymnastikball für Sie zum Sitzen im Büro eignet.